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Skurriler Kampf gegen die Atomindustrie

Christian Schäfer inszeniert am Theater Gütersloh mit einem grandiosen kleinen Ensemble satirische Komödien mit viel Gefühl. Eine Theaterkritik.

Von Stefan Keim

Wenn eine junge Frau Lily Herrgott heißt, könnte das Schicksal sein. Die 21jährige Heldin des Stücks „Loreley“ will jedenfalls die Welt retten. Sie lebt an der deutsch-französischen Grenze, im Schatten eines Atomkraftwerks. Ihr Freund Luc ist Hacker. Gemeinsam simulieren sie einen Störfall, natürlich nur virtuell, um die Atomindustrie ins Wanken zu bringen. Doch die Lage gerät außer Kontrolle, und die beiden fliehen den Rhein hinauf in Richtung Norden.

Viele Bespieltheater wollen nicht nur Gastspiele einkaufen, sondern im Rahmen des Möglichen eigene Aufführungen produzieren. Christian Schäfer, der künstlerische Leiter des Theaters Gütersloh, ist Regisseur und war vorher Intendant im Zimmertheater Tübingen. In den vergangenen fünf Jahren hat er in Zusammenarbeit mit den Ruhrfestspielen eine Trilogie produziert, die Maßstäbe setzt, was schrägen Charme und Originalität betrifft. Schäfer schreibt die Stücke unter dem Pseudonym Fink Kleidheu selbst. In „Island One Way“ reiste ein Paar auf Sinnsuche über die beliebte und schrecklich teure Insel. Wie in allen Stücken war schon hier der isländische Liedermacher Svavar Knútur dabei, ein herrlicher Typ, der einen Riesenspaß an derber Comedy in durchgeknallten Kostümen hat. Der aber auch einfach mal an der Gitarre sitzen und mit melancholischen Liedern das Herz bewegen kann.

Das tat er auch in „Der letzte Cowboy“, der ja wie schlagerfeste Mitmenschen wissen aus Gütersloh kommt und die Freiheit irgendwo sucht. Das ist das Thema aller drei Stücke. Junge Leute brechen auf, glauben an eine bessere Welt, wissen nicht recht, wo und wie sie daran mitarbeiten können und versuchen es einfach mal. Sie begeben sich in Gefahr, scheitern, lieben, trauern – und all das inszeniert Christian Schäfer mit einer Leichtigkeit und Gefühlstiefe, die ebenso an die eleganten screwball comedies des klassischen Hollywoodkinos wie an Aki Kaurismäki, aber auch an Monty Python erinnert. Eine Mischung, die man sich schwer vorstellen kann. Die Schäfer aber mit großer Selbstverständlichkeit auf die Bühne bringt.

Die Texte sind eine Mischung aus Erzählung und Spielszenen, rasant und selbstironisch ineinander verschränkt. Die Bühne besteht aus vielen Kästen, die man hinaus ziehen oder beiseite schieben kann. Immer wieder eröffnen sich neue Spielräume, bunt, schräg, comichaft. Bei aller Spiellust verlieren die wunderbaren Schauspieler niemals die ernste Grundlage ihrer Charaktere aus dem Blick. In „Loreley“ ist Lucie Mackert das Zentrum. In ihr stecken eine spätpubertäre Unschuld und Radikalität, sie löst Beschützerinstinkte aus, aber das ist völlig überflüssig, wenn nicht gar gefährlich. Denn diese Lily Herrgott weiß zwar nicht so recht, was ihr Weg ist. Aber sie geht ihn voller Energie. Eine moralische Hemmschwelle zwischen Weltverbesserei und Öko-Terrorismus kennt sie nicht. Fabian Baumgarten spielt Luc mit der hirnrasenden Wuseligkeit eines jungen Milan Peschel, und Christine Dienstberg wechselt wie Svavar Knútur ständig die Rollen, arbeitet mit grellen, scharfen Kanten, manche Figuren könnten aus Clever&Smart-Comics stammen (falls die noch einer kennt).

Von Heinrich Heine bis Rammstein-Rock reichen die stilistischen Anspielungen dieser Aufführung. „Loreley“ ist überraschend, man ahnt selten, was im nächsten Augenblick passieren wird. Ein Meisterstück des Humors, das beste Stück der Trilogie. Und dennoch möchte man gern die anderen beiden noch einmal sehen, um nach Bezügen und Entwicklungen zu sehen. Christian Schäfer und seinem Team ist da wahrhaftig etwas gelungen, eine ganz eigene, mutige, inhaltlich relevante und unglaublich unterhaltende Spielweise des Theaters.

Termine: 8., 9. und 14. September im Theater Gütersloh


Fotos: Kai Uwe Oesterhelweg