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Eine starke Geschichte über das Weiterleben

Die Burghofbühne Dinslaken zeigt eine Bearbeitung des Romans „Extrem laut und unglaublich nah“ von Jonathan Safran Foer

Von Stefan Keim

Nichts ist mehr normal. Thomas Schell ist beim Anschlag auf das World Trade Center gestorben. Sein neunjähriger hochintelligenter Sohn Oskar ist in tiefer Trauer versunken. Da findet er in den Sachen seines Vaters einen Schlüssel, auf dem der Name „Black“ geschrieben steht. Oskar läuft durch New York, besucht alle Leute, die „Black“ heißen, und hofft, etwas über seinen Vater herauszufinden. Die Burghofbühne Dinslaken hat Jonathan Safran Foers Roman „Extrem laut und unglaublich nah“ nun als Theaterversion inszeniert und geht auf Tour.

Die schräge Sperrholzbühne ist einfach gehalten. Mit einem Projektor werden Texte von Folien  an die Wand geworfen – wie früher im Klassenzimmer. Ein Landestheater muss schnell auf- und abbauen können. Doch Jörg Zysiks Ausstattung wirkt nicht wie ein künstlerischer Kompromiss, im Gegenteil. Gerade durch die einfachen Mittel der Inszenierung geht die Konzentration ganz auf die Figuren und ihre Geschichte. Oskar wird gleich von drei Schauspielern verkörpert, von denen zwei auch andere Rollen einnehmen. Das klingt komplizierter als es ist. In der klugen und behutsamen Inszenierung von Mirko Schombert bekommt die Erzählung schnell einen natürlichen Flow. Auch weil die Schauspieler trotz Rollenwechseln sehr präzise und psychologisch genau die Charaktere ausleuchten.

Vor allem Julia Sylvester ist ein Ereignis. Die 26-Jährige ist die einzige, die den ganzen Abend über den Jungen Oskar spielt. Mit offenem, kritischem Blick schaut das Kind in eine Welt, die ihm bei aller Intelligenz seltsam, unlogisch und verdreht vorkommen muss. Oskar folgt einem unbedingten Gefühl, wie es manche Figuren Heinrich von Kleists tun. Er hat eine Mission, und es ist ihm egal, ob er sich dabei in Gefahr begibt. Seine Mutter ist längst wieder vom Alltag einfangen worden. Sie muss arbeiten, funktionieren, den Haushalt am Laufen halten. Christiane Wilke spielt diese Rolle und zugleich Oskars Großmutter. Ein tolles Konzept, denn die Oma  kann die Gefühle klarer entwickeln, die von der Mutter beiseite geschoben werden. Einfach weil sie mehr Zeit hat. Aber auch mehr Lebenserfahrung.

Denn die Großmutter hat schon einige Menschen verloren, die ihr wichtig waren. Als Oskar sich einmal versteckt, rastet sie fast aus, weil ihre Angst übermächtig zu werden droht. Für den Jungen ist alles nur ein Spiel, für die Oma ein existentielles Drama. Das ist eine von vielen überwältigenden Szenen dieses Theaterabends.

Regisseur Mirko Schombert ist es gelungen, jede Kitschklippe feinfühlig zu umsteuern. Jonathan Safran Foers Roman ist ja bereits verfilmt worden, viele Kritiker bemängelten ein Abrutschen ins Klischee. Auf der Bühne könnte manche Szene sogar noch ein bisschen mehr Emotion vertragen, vor allem im ersten Teil. Denn die Erzählform mit den wechselnden Rollen sorgt ja ohnehin schon dafür, dass die Gehirne des Publikums in Bewegung bleiben.

Die Aufführung ist eine starke Reflexion über das Weiterleben nach persönlichen Katastrophen. Über den Mut, zu fühlen und zu lieben, gerade nach schockierenden Erlebnissen und Verlusten. Außerdem zeigt sie, was für ein ausgezeichnetes Ensemble die Burghofbühne Dinslaken hat.


8. Februar Kolpinghaus Brilon
21. Februar Stadttheater Bocholt
26. Februar Hugenottenhalle Neu-Isenburg
1. April Theater Hameln
5. April Tenterhof Dinslaken
17. Mai Kulturhaus Lüdenscheid


Fotos: Martin Büttner