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Die Spinne geht ihren eigenen Weg

Das Helios Theater in Hamm zeigt die Uraufführung des Musiktheaterstücks „Wer den Wind erweckt hat“

Von Stefan Keim

Am Anfang bläht sich noch die Plane, der Wind weht, alles ist in Ordnung. Doch plötzlich steht alles still. Und es bleibt auch so. Der Wind ist weg, es fehlt jede Bewegung in der Luft. Auf Dauer ist das lebensgefährlich.

Das neue Stück des Helios Theaters in Hamm basiert auf einer lettischen Sage. Die innovative Bühne, die im Hauptbahnhof ihr eigenes Haus hat und mit ihren Aufführungen viel unterwegs ist, beschreitet im Auftrag des Kultursekretariats NRW Gütersloh neue Wege. „Wer den Wind erweckt hat“ ist Musiktheater für Menschen ab 5. Die Spieler werden von einem live spielenden Trio unterstützt.

Die Musik dient nicht nur der Handlung
Sängerin Maika Küster, Klarinettistin Maryanne Piper und Schlagzeuger Dominik Hahn bleiben nicht nur auf ihren Stühlen. Sie stehen manchmal auf, gehen in die Szene hinein, begleiten die Handlung, ohne sie einfach zu illustrieren. Die Musik ist eine eigene Spielebene, reagiert auf die Geschichte, kommentiert sie, schafft Atmosphäre. Maika Küster singt keine Texte, sondern Vokalisen, auf einen Stil lässt sich das Trio nicht festlegen. Es sind Jazzelemente dabei, überhaupt viel improvisierte Musik, sanfte Dissonanzen, schwebende Klänge, ein zeitgenössischer Soundtrack.

Der bauchige Frosch und die kratzige Ratte
Die Helden des Stücks sind die Tiere. Sie kommen zusammen, beraten, was zu tun ist und machen sich schließlich auf, um den Wind zurückzuholen. Die Spieler Bahareh Sadafi – in Teheran geboren und dort auch zur Puppenspielerin ausgebildet – und Michael Lurse bringen eine Figur nach der anderen ins Spiel. Einen wohl bebauchten Frosch zum Beispiel, dessen Leibesfülle Autorität behauptet. Oder eine Ratte, der Bahareh Sadafi eine kratzige, hohe Stimme verleiht.

Star der Aufführung ist allerdings die Spinne. Sonst ist sie nicht gerade ein Tier, dem besondere Sympathien zufliegen. Wenn man mal von Spiderman aus dem Marvel-Universum absieht, aber der ist ja eindeutig menschlich. Mit ihren roten Haaren sieht die Spinne frech und eigenwillig aus. Lisa Schnee hat die Puppen aus Kleidungsstücken und Alltagsgegenständen gebaut, was ihnen einen leicht anarchischen Handmade-Beigeschmack verleiht.

Die Fliege und die fake news
Die Spinne geht ihren eigenen Weg, ganz allein, ohne die anderen Tiere. Denn sie ahnt, dass sie den Wind nur finden kann, wenn sie sich über den Ozean traut. Wahrhaftig gelingt es ihr, den Wind zu finden und ihn wieder zu erwecken. Aber damit ist die Geschichte längst nicht vorbei. Denn die Fliege versucht, der Spinne ihren verdienten Ruhm zu rauben und macht Stimmung gegen sie. Da ist das Kinderstück ganz aktuell. Es geht darum, wie man mit Lügen und fake news die Wahrheit verdrehen und andere manipulieren kann. Doch die Spinne gibt sich nicht geschlagen.

Der Text ist nicht die stärkste Seite des Stücks. Er bleibt sehr einfach, was vielleicht auch daran liegt, dass die Aufführung für Kinder ab fünf Jahren gedacht ist. Doch die ästhetische Umsetzung überzeugt. Die Bühne ist mit Sand bedeckt, Rohre, die wie grüne Äste aussehen bilden eine Installation. Bahareh Sadafi und Michael Lurse versuchen nicht, sich hinter den Puppen zu verstecken, sondern zeigen ganz offen, wie sie die Tiere bewegen. Das ist kein Illusionstheater, sondern eine Art von Spiel, die Kinder sofort verstehen. Weil auch sie so ihre Geschichten erzählen. Liebevoll gehen die Spieler mit Figuren und Objekten um. Zusammen mit der unaufdringlichen aber doch sehr präsenten Musik gelingt ein Gesamtkunstwerk, faszinierendes Musiktheater.

Ab nächstes Frühjahr wird das Stück auf Tour gehen. Das Förderprogramm „Heimwärts“ des Kultursekretariats  übernimmt einen Teil der Kosten dieser Gastspiele.

Foto: Anna-Sophia Zimniak, Helios Theater