Das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel zeigt Ray Cooneys durchgedrehte Komödie „Taxi Taxi – Doppelt leben hält besser“
Von Stefan Keim
Boulevardtheater gilt für viele als Handwerk. Nicht wirklich als Kunst. Die Stücke laufen ab wie eine gut konstruierte Maschine. Man muss die Pointen bedienen, das Timing beachten, in den richtigen Momenten ein bisschen Charme versprühen. Klingt einfach, ist es aber nicht. Und manchmal gelingen Inszenierungen, die über das pure Lachtheater hinaus gehen. Regisseur Markus Kopf und das grandiose Ensemble des Westfälischen Landestheaters Castrop-Rauxel gehen mit einem solchen Abend auf Tour – mit Ray Cooneys Farce „Taxi Taxi – Doppelt leben hält besser“.
John Smith hat zwei Frauen. In zwei Häusern, wenige Kilometer voneinander entfernt. Das ist kein Problem, denn John Smith ist Taxifahrer mit wechselnden Arbeitszeiten. So lange er seinem Terminkalender genau gehorcht, gibt es kein Problem. Aber nun hat John versucht, eine alte Dame gegen einen Dieb zu verteidigen. Er wurde verprügelt, von der alten Dame, aus Versehen, mit ihrer Handtasche. John war bewusstlos und im Krankenhaus. Die Wunde heilt schnell. Als er nach Hause kommt, hat ein ganz anderes Problem: Sein Terminkalender ist durcheinander gekommen.
Was dann passiert, ist der blanke Wahnsinn. Der heute 86-jährige Engländer Ray Cooney kann wie kein anderer Situationen auf die Spitze treiben. Immer, wenn man denkt, es kann nicht mehr wilder werden, setzt er noch einen drauf. Nach Logik oder Psychologie darf man in diesen Stücken nicht fragen. Es geht einfach darum, keinen Gag auszulassen. Die Sache funktioniert, weil alle Menschen auf der Bühne trotz allem Irrsinn sympathisch sind.
Die Spielfläche ist zweigeteilt. Auf der einen Seite wohnt John Smith mit Mary, auf der anderen Seite mit Barbara. Ein toller Kniff in der Inszenierung von Markus Kopf ist es, dass die beiden Seiten nicht streng getrennt sind. Ganz selbstverständlich laufen die Schauspieler, die in Marys Wohnung spielen auch durch Barbaras hindurch, ohne jemals die zu berühren, die gerade dort zu sehen sind. Schon das ist eine choreographische Meisterleistung, da muss jede Bewegung sitzen.
Dann kommt es darauf an, nicht komplett Vollgas zu geben. Sondern ein bisschen Restenergie zurück zu halten, um im richtigen Moment die Situation explodieren zu lassen. Das Ensemble des Westfälischen Landestheaters sprüht vor Spiellust. Wie sich Franziska Ferrari als Barbara auf dem Boden liegend ein enges Kleid anzieht, ist eine Glanznummer für sich. Svenja Marija Topler ist als Barbara die bodenständigere der beiden Ehefrauen. Mario Thomanek gleitet als John Smith immer weiter in die Verzweiflung, Mike Kühne als sein bester Freund versucht erfolglos, etwas zu retten.
Dann gibt es noch zwei völlig durchgedrehte Polizeibeamte (Burghard Braun und Guido Thurk) und den offensiv schwulen Mitbewohner von oben (Emil Schwarz). Sie alle sorgen dafür, dass man vor Lachen mehrmals kaum noch Luft kriegt und um Gnade winseln will. Aber es kommt immer noch eine Pointe. Schließlich applaudiert das Publikum, bis die Hände schmerzen.
Natürlich lässt sich die Inszenierung als pure Unterhaltung deuten. Aber je nach Blick hat sie auch etwas abgedreht Philosophisches. Denn hier wird das bürgerliche Leben so konsequent und lustvoll demontiert, das am Ende nur der in seinen Trieben und Ängsten verstrickte, seltsame, unverständliche, in seiner Lächerlichkeit zutiefst sympathische Mensch zurück bleibt. Die Leute im Stück müssen sich ihr Leben wieder neu zusammen setzen. Was Markus Kopf in seiner präzisen Inszenierung zeigt, ist die ganz große Kunst der Komödie.
Im Herbst auf Tour, unter anderem in Hameln, Marl, Solingen, Bocholt, Lünen, Hamm.
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Fotos: Volker Beushausen
Lünen. Die Folgen der Corona-Pandemie treffen den Kulturbetrieb besonders hart. Auch das Lüner Theater ist direkt betroffen, denn seit November schon bleiben die Eingangstüren verschlossen, der Besuchersaal und die Bühne leer. Nun möchte das Kulturbüro in Zusammenarbeit mit dem Förderverein Theater Lünen e. V. ein positives Zeichen setzen, denn das Theater ist für die kulturelle Gesellschaft der Stadt unerlässlich.
Am Samstag, 27. Februar um 19 Uhr wird der erste Stream in der Geschichte des Heinz-Hilpert-Theaters ausgestrahlt: „Singvögel und Raben waren auch nicht mehr da“ bringt dabei gleich zwei Lüner Kulturpreisträger zusammen. Das Künstlerpaar Susanne Hocke und Jürgen Larys, die für die theatralische Umsetzung zuständig sind, und Michael Kupczyk, der mit seinem Partner Johannes Klais diese Aufführung mit der Kamera einfängt.
„Singvögel und Raben waren auch nicht mehr da“ ist die Uraufführung eines theatralisierten Augenzeugenberichtes des ersten Abwurfes einer Atombombe auf Hiroshima am 6. August 1945. Shigemi Ideguchi erlebte dieses Ereignis, das die Geschichte der Menschheit nachhaltig verändern sollte, aus unmittelbarer Nähe und überlebte es gegen alle Wahrscheinlichkeit. Sein Bericht ist eindrücklich, bilderreich, immer wieder erschütternd – und zeigt, weshalb sich dieses Ereignis nie wiederholen darf.
Der Stream ist ab Samstag, 27. Februar 2020 ab 19 Uhr für 48 Stunden über www.luenen.de/theater-stream kostenlos abrufbar. Der Link leitet auf die Video-Plattform YouTube weiter, von wo aus der Stream ausgestrahlt wird. Außer einem Computer oder einem anderen Endgerät mit Internetanschluss brauchen die Zuschauerinnen und Zuschauer keine besonderen technischen Voraussetzungen.
„Singvögel und Raben waren auch nicht mehr da“ ist eine Koproduktion von artENSEMBLE THEATER mit dem Kulturbüro Lünen. Das Projekt wird gefördert vom Kultursekretariat NRW Gütersloh im Rahmen des Förderprogramms für Bespieltheater „Heimwärts“. Der Stream wird unterstützt vom Förderverein Theater Lünen e. V.
Bild: Shigemi Ideguchi (r.) erlebte den Atombombenabwurf aus unmittelbarer Nähe – und überlebte es. Neben ihm auf dem Bild steht seine Enkelin Rima Ideguchi | Foto: Privat